Den Schritt tun

Die Reise hat begonnen und Deutschland liegt hinter mir. Italien ist die erste Station des Abenteuers und ich habe diesen Artikel eigentlich auch schon am Samstag geschrieben; nur Internet zu kriegen, um ein paar Bilder hochzuladen, erweist sich als schwierig. So saß ich eben in einem kleinen Straßencafé und bediente mich des freien Wifis und habe nun endlich alle Bilder, der letzten Tage online.

Es ist einer der letzten Tage in Deutschland. Bisher schien es immer so fern, ein konkretes Gefühl dazu konnte sich noch gar nicht bilden. Man sitzt nur dort und es ist eine gewisse Leere, die man ab dem Stichtag vor sich sieht. Es gibt kein wirkliches Bild von dem, was einen erwartet. Natürlich, hier und da sind ein paar Dinge bekannt, nur bilden diese noch keine Vorstellung. Mehr eine Ahnung, von dem, was kommen könnte.
In etwa so lässt sich allgemein der Punkt vor einer lang geplanten und lang dauernden Reise beschreiben. So erging es mir in den Tagen kurz vor Neuseeland und diesmal wieder; ab dem Zeitpunkt der Abreise verliert sich das bisherige Gefühl von Zeit, es ist ein Bruch im Kopf, der an einem solchen Punkt stattfindet.
Es ist wohl ersichtlich, dass es mir schwer fällt, dieses Gefühl zu beschreiben. Es ist vollkommen eigen und ich habe es bisher noch in keiner anderen Situation bemerkt.

Eine Woche vor der Abfahrt wirkt alles noch ganz ruhig. Ich bin zwischendurch mit meinem Rucksack unterwegs, gewöhne mich an das Gefühl von etwa 16kg auf dem Rücken und schaue mir die altbekannte Landschaft noch einmal an. Zum ersten Mal fülle ich meine Flasche an Quellen im Wald, filtere es noch vorher und behandle es mit ultraviolettem Licht. Eigentlich keine wirklich notwendige Maßnahme, aber schon eine Einstimmung auf unterwegs; auch wenn ich erst mal auf einem Boot sein werde und mich mit solchen Problemen noch gar nicht herumschlagen muss.

Kurzgefasst lässt sich die letzte Woche in Deutschland recht einfach ausdrücken: jede Menge Besorgungen, die dann doch erst in letzter Minute notwendig erschienen, internationalen Führerschein beantragen, Tauchtauglichkeitsuntersuchung, letzte Impfungen nachholen (den Großteil hatte ich, nur hatte mit der Taucharzt (plus Impfarzt) noch weitere Tipps gegeben, was er für sinnvoll hielt) und Sachen packen. So einfach wie es hier klingt war es natürlich nicht, das Packen ging nicht so reibungslos wie bei den vorigen Packtests, die Impfungen waren eigentlich gar nicht eingeplant gewesen, den Termin für das Attest habe ich glücklicherweise noch 24 Stunden vorher relativ spontan bekommen und bei den Besorgungen war ein Schloss eines Viererpacks defekt. Zeit, um das zu korrigieren, war natürlich nicht mehr.

27. März 2014

Dann kommt der Tag vor der Abreise. Solange ich in Gesellschaft bin, ist alles in Ordnung, aber vor dem Rucksack zu stehen, nur um sehen zu müssen, dass er wesentlich dicker wirkt, als bei den vorigen Versuchen und noch dazu schwerer ist (inzwischen etwa 18kg), lässt es mir mulmig werden. Ich betrachte die Dinge um mich herum mit dem Wissen, dass ich bald meine harten Momente haben werde und mich sicherlich nach ihnen zurücksehne. Meine Katzen, meine Freunde, meine Familie, die Vertrautheit meines Zimmers und Umfelds, das Wissen, alles nötige immer parat zu haben. Die Glücksmomente, die ich mir ausmale, treten immer wieder in den Hintergrund, werden verdrängt von den Sorgen und Ängsten die ich hege und ich hinterfrage meine Motivation für die Reise. Noch geht es aber, denn man ist ja Zuhause.

28. März 2014

Und der Abreisetag kommt. Meine Eltern haben sich dazu entschieden, einen Kurzurlaub übers Wochenende in Italien einzulegen und so kann ich mir das Trampen durch Europa vorerst sparen. Um acht Uhr morgens wollen wir eigentlich abfahren, aber pünktlich kommen wir nie los. Das sollte diesen Freitag auch nicht anders werden und gegen neun ist das Auto dann endlich voll gepackt und wir finden uns auf der Straße wieder.
Die Fahrt läuft gut, mein Vater und ich wechseln uns immer wieder ab und kommen problemlos in die Schweiz: nur ist der Gotthard-Tunnel wegen eines Unfalls gesperrt. Nach einigem hin und her enden wir trotzdem auf dem Weg zum Tunnel und können diesen glücklicherweise auch schon passieren und so in die italienische Schweiz fahren. Die sich verändernden Verkehrsbedingungen sind auch gut händelbar und fast zwölf Stunden nach Abfahrt kommen wir in Sanremo in Italien an. Dort haben meine Eltern eine günstige, schön gelegene Unterkunft für das Wochenende gefunden.

Nach einem Telefonat mit Michelangelo – dem Skipper, der mich eingeladen hat – bleibe ich doch vorerst über Nacht mit meinen Eltern im Hotel und wir werden ihn am Samstag gemeinsam aufsuchen. Mit Pizza zum Abendessen wird der Tag abgeschlossen; für Italien hatten wir uns von dieser aber mehr erhofft.
Generell finde ich mich in diesen Momenten mental ziemlich kraftlos wieder. Meine Zweifel zur Abfahrt hin haben sich über die lange Fahrt gelegt, aber jetzt schreien sie wieder auf. Kulturschock könnte man meine Reaktion wohl nennen, denn bisher war ich immer sehr nah am „deutschen“ Rahmen. Meine Urlaube waren immer in den Touristengegenden, meine Eltern hatten die Organisation übernommen und Neuseeland hat mir auch bereits ein behütetes Umfeld geboten. Kommunizieren konnte ich auch immer, meistens sogar in der Landessprache. Italienisch spreche ich kein bisschen, ich bin mir nicht mal sicher, ob es duo oder due ist. Das entspricht auch etwa dem Umfang meiner Kenntnisse und Englisch sprechen bisher eher Wenige, die mir begegnet sind. Alles in allem bin ich ziemlich fertig und freue mich unglaublich, mich endlich ins Bett legen zu können.

29. März 2014

Zu meiner Freude muss ich beim Schreiben über die letzten Tage aber nicht so negativ enden. Samstag Morgen und ich kann bereits wieder mit einem Grinsen im Gesicht aufwachen, die Sonnenstrahlen auf dem Balkon vertreiben vorerst die Sorgen und Ängste und machen einer gewissen Abenteuerlust Platz. Zum ersten Mal bin ich bewusst in Italien – meine letzten Besuche waren in frühester Kindheit und alle anderen in Südtirol zum Skifahren – und der Gedanke, wieder neu irgendwo zu sein, erscheint mir nicht mehr so furchtbar wie am Vortag. Ich mag ihn sogar. Das letzte Mal hatte ich diesen Eindruck in Neuseeland und wenn auch ich dieses Gefühl selbst nicht wirklich zu schätzen weiß, sind es die neuen Erfahrungen, die es einem verspricht, auf die ich mich freue.

Nach einem Frühstück im Hotel brechen wir zu Michelangelo auf. Er liegt knappe 40km entfernt in Imperia mit seinem Hausboot vor Anker und hat mir morgens eine SMS geschickt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten den Hafen zu finden, entdecken wir einen Laden für Segelbedarf und kurzentschlossen halten wir an.
Wir sind hier nahe der französischen Grenze und viele der Bewohner Sanremos und Imperias sprechen eher Französisch als Englisch. Genug für eine Frage nach der Richtung zum Hafen kriege ich im Gespräch mit einer Verkäuferin noch zusammen und einer der gehenden Kunden bietet uns an, ihm nachzufahren: „suivre moi, suivre moi!“. Er müsse wohl eh dorthin zurück.
Mit seinem Roller fährt er vorneweg wieder die Strecke zurück, die wir gekommen waren. Wir scheinen uns schon früher im Abzweig geirrt zu haben. Er mit seinem Roller voran, wir hinterher. Warst du schon mal in Italien? Hier gibt es ja wirklich Unmengen von Rollern!
Scooters in ItalyÜberall sehen wir sie an den Straßenrändern stehen, viele Parkplätze sind extra für ihre kleinere Standfläche markiert und regelmäßig werden wir von den zweirädrigen Gefährten überholt, während sie sich ihren Weg durch den recht dichten Verkehr bahnen. Der Mittelstreifen ist eher eine Orientierung für Autos als eine Begrenzung für Roller; wenn dieser kurz mal überfahren werden muss, um eines der langsameren vierrädrigen Gefährte zu überholen, scheint dies vollkommen normal zu sein. Auch mit Gegenverkehr. Mehrere Stunden, nachdem ich Michelangelo zurückgeschrieben hatte, kommen wir also nun endlich im Hafen Imperias an.
Port Maurizioponton F ist wohl der Anlegepunkt seines Hausbootes und wir machen uns auf die Suche. N, M, … H, G, … Moment, da fehlt was! Die Nummerierung endet und den richtigen ponton (wohl der Steg) finden wir nicht. Eine Gruppe am Hafen kann uns in gebrochenem Englisch erklären, dass F wohl auf der anderen Seite des Hafens zu finden, aber nicht mit dem Auto zu erreichen wäre. An dieser Stelle kürze ich mal ab; Michelangelo hatte seine Beschreibung auf das Segelboot bezogen, auf das wir wohl in ein paar Tagen gehen würden. Sein Hausboot entsprach nicht der Aussehens-Beschreibung, die er uns für den Segler gegeben hatte und auch bei ponton F – den wir später noch gefunden hatten – waren wir somit falsch. Auch der Hafen wäre ein anderer. Nach etwas hin und her treffen wir uns an einer nahen kleinen Kirche und er lotst uns.

So haben wir endlich Gelegenheit, den Skipper kennenzulernen. Er lädt uns drei mit in sein Boot ein und zeigt mir die Kajüte, die bis zum Umstieg auf das Segelboot meine Unterbringung sein wird. Meine Eltern bleiben nicht lange, es ging ja eher darum, das Nützliche mit dem Praktischen zu verbinden, als sie mich hergebracht haben. Ich hole meinen Rucksack aus dem Auto und die beiden brechen auf. Sie werden noch bis Sonntag bleiben, aber ihre Pläne verlaufen unabhängig von meinen.

Michelangelo hat momentan gesundheitliche Probleme und wollte sich ein wenig hinlegen; so habe ich jetzt die Gelegenheit, mich in Ruhe hinzusetzen und ein paar Minuten zu schreiben.
Das Wetter ist mit etwa 20°C sehr angenehm und die Sonne scheint. Nur der Wind hier im Hafen ist etwas stark, lässt sich aber auch noch gut aushalten. Ich hab mir ein wenig Sorgen wegen Seekrankheit gemacht und mir auch Tabletten dagegen besorgt, aber bisher fühle ich mich ganz gut. Michelangelos Partnerin meinte, dass es wohl auch nur Müdigkeit wäre, die ich davontragen würde. Darin muss ich ihr zustimmen, ich fühle mich für die Uhrzeit ungewöhnlich schlapp. Bisher habe ich es auf die „mentale Anstrengung“ und die Aufregung der letzten zwei Tage geschoben, aber das erscheint mir wahrscheinlicher. Geschlafen habe ich wirklich super und meine generelle Verfassung ist heute wesentlich angenehmer als gestern.

Beim Schreiben habe ich diesmal einen anderen Stil ausprobiert. Ich hoffe ja, dass es verständlich und angenehm zu lesen war. Passt das so?
Ein paar Fotos des Boots und von Michelangelo würde ich euch gerne zeigen, aber das muss ich vorerst wegen Kamerscheue verschieben. Dazu komme ich vielleicht später noch zurück.
Abschließend sollte ich aber wohl auch sagen, dass die folgenden Tage genauso gut waren, wie der Letzte. Dazu schreibe ich noch ein wenig zusammen und ergänze es mit Bildern der malerischen Stadt Imperia.

Liebe Grüße aus 20°C und Sonnenschein!

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